M. Bundi: Gewissensfreiheit und Inquisition im rätischen Alpenraum

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Titel
Gewissensfreiheit und Inquisition im rätischen Alpenraum. Demokratischer Staat und Gewissensfreiheit.Von der Proklamation der «Religionsfreiheit » zu den Glaubens- und Hexenverfolgungen im Freistaat der Drei Bünde (16. Jahrhundert)


Autor(en)
Bundi, Martin
Erschienen
Bern 2003: Haupt Verlag
Anzahl Seiten
397 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Max Hilfiker

Der Bündner Historiker widmet sich hier einem Spannungsfeld, das in jüngster Zeit vermehrt Aufmerksamkeit erlangt hat: Der praktischen Ausgestaltung der konfessionellen Verhältnisse in einem grundsätzlich demokratisch verfassten Staatsgebilde. Der Autor differenziert dabei den Toleranzbegriff zur Zeit der konfessionspolitischen Kämpfe des 16. und beginnenden 17. Jh. Breiten Raum widmet er dem Wirken der Inquisition und der Hexenverfolgung, die er in engen Bezug setzt.

In der ausführlichen Einleitung werden die Grundlagen des Freistaates erklärt, insbesondere die Ilanzer Artikel von 1526. Diese besiegelten die völlige Ausschaltung des Bischofs von Chur aus dem staatlichen Leben. Die weitgehende Gemeindeautonomie und die Rechtssetzung durch Mehrheitsbeschluss unterwarfen auch das religiöse Leben demokratischen Grundsätzen. Mit der Zulassung der Reformation, der freien Pfarrerwahl und dem Novizenverbot für die Klöster geriet das junge, wenig gefestigte Staatswesen jedoch in ein Minenfeld voller innerer Widersprücheund aussenpolitischer Drohungen.

Zum einen war da die ungelöste Frage der Gewissensfreiheit, die dem Einzelnen zwar garantiert wurde, ihn jedoch gleichzeitig einem Mehrheitsbeschluss der Gemeinde unterwarf. Zum andern provozierte das demokratische Verfahren die autoritären kirchlichen Strukturen sowie die zunehmend absolutistischen Machtansprühe vor allem Mailand-Spaniens.

Den Widerständen gegen die Reformation gilt das eigentliche Interesse des Autors, wobei er das Testgebiet für die Religionsfreiheit in den Untertanenlanden Veltlin, Bormio und Chiavenna ortet. Diese unterstanden politisch und wirtschaftlich zwar dem Bündner Souverän, kirchlich jedoch dem Bistum Como, also Mailand. In einer reich durch Quellen belegten Folge von Beispielen schildert Bundi die unzähligen Übergriffe und Einmischungen von Seiten des Bischofs von Como, des Kardinals von Mailand und auch des spanischen Gouverneurs sowie der Kurie. Mit illegalen Visitationen, mit dem Versuch, die Jesuiten anzusiedeln, mit der Verhinderung einer paritätischen Landesschule, ja mit Entführungen und Hinrichtungen hintertrieben sie die Duldung der Reformierten. Lustvoll entlarvt Bundi den Heiligen Carlo Borromeo als Bösewicht der Epoche, der zusammen mit der Inquisition einen eigentlichen Feldzug gegen die «Häretiker» nicht nur der Untertanen-, sondern der herrschenden Lande führte. Der Hexenwahn erscheint als Fortsetzung dieser Politik mit andern Mitteln in jenen Gebieten, die dem direkten Zugriff entzogen waren. Wenn dies im bündnerischen Misox auch offensichtlich scheint, so ist es für die nördlichen Talschaften weniger einleuchtend, da die meisten protestantischen Gemeinden ebenfalls Hexenprozesse durchführten. Die Drei Bünde wehrten sich zwar für ihre Souveränität, waren letztlich aber oft machtlos, da sie in sich gespalten und wirtschaftlich von Mailand abhängig waren. So sieht der Autor das Massaker an den Reformierten von 1620 und den zeitweisen Verlust der Untertanenlande als logische Folge der gegenreformatorischen Agitation, die zumindest im Veltlin ihr Ziel erreichte.

Der spannend zu lesende Text nimmt die erste Hälfte des Buches ein; die zweite enthält detaillierte Anmerkungen, eine ausführliche, wertvolle Dokumentensammlung, Quellen- und Literaturverzeichnisse sowie ein Personen- und Ortsregister. Zudem erläutern Tabellen, grafische Darstellungen und eine Karte Aufbau und Institutionen der Drei Bünde, ergänzt durch einen Verfassungsüberblick.

Das Buch veranschaulicht sehr gut die Schwierigkeiten, in einem solchen Umfeld die Begriffe Toleranz und Gewissensfreiheit festzumachen. Dabei stellt Bundi eine vielleicht etwas zu ideal gesehene vortridentinische Phase dem Fanatismus der Gegenreform gegenüber, zeigt aber anderseits auch Verständnis für die strikte Durchsetzung der protestantischen Orthodoxie. Insgesamt ist die engagierte Abhandlung dieses Problemkreises von verordneter Toleranz, Religionspolitik und demokratischen Verfahren zwischen Humanismus und Absolutismus höchst anregend und verdienstvoll. Der alpine Sonderfall wird hier in seiner religionspolitischen Ausprägung auf den Punkt gebracht.

Zitierweise:
Max Hilfiker: Rezension zu: Martin Bundi: Gewissensfreiheit und Inquisition im rätischen Alpenraum. Demokratischer Staat und Gewissensfreiheit.Von der Proklamation der «Religionsfreiheit » zu den Glaubens- und Hexenverfolgungen im Freistaat der Drei Bünde (16. Jahrhundert). Mit einem Geleitwort von Fritz Büsser Verein für Bündner Kulturforschung (Hg.), Bern, Haupt Verlag, 2003. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr. 3, 2005, S. 342-344.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr. 3, 2005, S. 342-344.

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